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Vom Kompass zur Karte: Umwandlung von Gestaltungsgrundsätzen in Leitlinien

Vom Kompass zur Karte: Umwandlung von...
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Strategische, taktische und operative Leitlinien, die Designprinzipien in das Herzstück Ihrer Organisation einbetten.

1. Prinzipien als Kompass

Als ich über die Kraft von Designprinzipien schrieb, beschrieb ich sie als den Kompass für gutes Design: abstrakt, aber in der Unternehmensrealität verankert, wegweisende Aussagen, die Teams dabei helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Sie schreiben nicht für jede Situation vor, was zu tun ist, aber sie sorgen dafür, dass wir nicht die Orientierung verlieren, wenn die Arbeit komplex wird.

Designprinzipien sind nichts Neues. Viele der großen Namen unseres Fachgebiets haben sie definiert und weiterentwickelt – oft auf eine Weise, die uns bis heute inspiriert. Denken Sie an Ben Shneidermans „Eight Golden Rules“, Jakob Nielsens Usability-Heuristiken oder Dieter Rams’ „Zehn Thesen für gutes Design“. Ihre Arbeit – ebenso wie die von Denkern wie W.H. Mayall im Industriedesign und sogar Architekten wie Frank Lloyd Wright – hat geprägt, wie Generationen von Designern ihr Handwerk verstehen und ausüben

Konkret:

  • Mensch-Computer-Interaktion – Ben Shneidermans Eight Golden Rules of Interface Design (1986)
  • Usability – Jakob Nielsens 10 Usability Heuristics (1994)
  • Industriedesign – Dieter Rams’ Zehn Thesen für gutes Design (1970er–80er)
  • Design Engineering – W.H. Mayalls “Principles in Design” (1979)
  • Architektur – Frank Lloyd Wrights organische Designphilosophie (frühes 20. Jahrhundert)
  • Organisations- und Systemdenken – Hugh Dubberlys “Principles of Organization” (2010)

All diese Arbeiten sind von enormem Wert, doch eines haben diese Designprinzipien gemeinsam: Sie operieren auf einer allgemeinen Ebene. Sie wurden nicht im Kontext eines einzelnen Unternehmens, einer Produktorganisation oder eines Dienstleistungsökosystems entwickelt. Sie geben uns zeitlose Orientierung, zeigen aber nicht, wie Prinzipien sich in die tagtäglichen Entscheidungen einer Organisation einbetten lassen. Dafür braucht es eine andere Art von Designprinzip – an den Kernwerten des Unternehmens ausgerichtete Prinzipien, die ein wichtiges verbindendes Element brauchen: Richtlinien.

 

“Design principles articulate the fundamental goals that all decisions can be measured against and thereby keep the pieces of a project moving toward an integrated whole.” - Luke Wroblewski

2. Von Prinzipien zu Richtlinien

Prinzipien sind der Kompass, der uns die Orientierung gibt, doch Teams benötigen etwas, das abstrakte Vorgaben in praktische Schritte für die tägliche Arbeit an Produkten und Dienstleistungen übersetzt. Hier kommen Richtlinien ins Spiel. Sie sind die Landkarte, die uns durch das Gelände führt.

Wenn Menschen das Wort „Richtlinien“ hören, denken viele sofort an Interface-Regeln wie: „Benutze 12pt für Fließtext“, „Vermeide Rot für positive Zustände“, „Beschriftungen immer linksbündig ausrichten.“ Nützlich, ja – aber auch begrenzt.

Selbst wenn sie etwas abstrakter formuliert sind, bleiben solche Regeln oft auf die Oberfläche der Benutzeroberfläche beschränkt. Man denke an Apples Human Interface Guidelines oder Googles Material Design Guidelines. Beide gehen über reine Oberflächenregeln hinaus: Sie beschreiben Navigationsabläufe, den Einsatz von Animationen und konsistente Interaktionsmuster. Mit anderen Worten: Sie verknüpfen allgemeine Designprinzipien mit wiederverwendbaren Lösungen.

Doch wenn wir an dieser Stelle stoppen, verpassen wir den eigentlichen Zweck von Richtlinien. Sie sollen nicht nur die Oberfläche veredeln, sondern Prinzipien durch alle Ebenen der Designarbeit tragen.

Das bedeutet: Richtlinien können (und sollten) auf mehreren Abstraktionsebenen existieren. Sie helfen Teams, nicht nur zu entscheiden, wie ein Button aussehen sollte, sondern auch, welches Produkt überhaupt entstehen soll.

 

3. Strategische, Taktische und Operative Richtlinien

Um über die Oberfläche hinauszugehen, ist es hilfreich zu erkennen, dass Richtlinien nicht alle auf derselben Ebene angesiedelt sind. Genau wie Prinzipien sowohl Produktstrategie als auch visuelle Details inspirieren können, können auch Richtlinien auf unterschiedlichen Ebenen wirken. Eine sinnvolle Betrachtungsweise ist die Einteilung in drei Ebenen: strategisch, taktisch und operativ.

Wir veranschaulichen diese Ebenen im Folgenden am Beispiel des Designprinzips „Gestalten für Vertrauen“:

  • Strategische Richtlinien (Konzept-Ebene)
    Sie übersetzen Prinzipien in Produkt- und Servicekonzepte. Sie bestimmen, was wir überhaupt entwickeln und wie es den Menschen dienen soll.

    Beispiel: „Jeder von uns entwickelte Service muss Nutzern volle Transparenz darüber bieten, wie Entscheidungen getroffen werden.“

  • Taktische Richtlinien (Workflow- und Muster-Ebene)
    Sie übertragen die strategische Intention in wiederkehrende Workflows und Muster. Sie beschreiben, wie Prinzipien die Struktur von Aufgaben und wiederkehrende Lösungen über Produkte hinweg bestimmen.

    Beispiel: „Wenn Nutzer wichtige Entscheidungen treffen sollen, gestalte Workflows immer mit klaren Schritten und Überprüfungsmöglichkeiten, unterstützt durch Erklärungsmuster, die die Logik transparent machen.“

  • Operative Richtlinien (Interface-Ebene)
    Sie definieren die Ausführungsdetails, wie Typografie, Zustände und Mikrointeraktionen. Sie sorgen dafür, dass jede Instanz eines Produkts konsistent und im Sinne der höheren Absicht gestaltet ist.

    Beispiel: „Zeige beim Überfahren eines Datenpunkts immer einen Tooltip mit Quellverweis an.“

Zusammen ergeben diese drei Ebenen eine Brücke zwischen abstrakten Prinzipien und den täglichen Designentscheidungen, die Produkte und Services prägen. Sie sorgen dafür, dass Prinzipien nicht nur auf einer Präsentationsfolie stehen, sondern aktiv Konzeptentwicklung, Workflows und Interface-Details beeinflussen.

 

4. Ein weiteres Beispiel: Design für Verantwortlichkeit

Um dies greifbarer zu machen, betrachten wir ein zweites Prinzip: Design für Verantwortlichkeit. Wie Vertrauen lässt sich Verantwortlichkeit auf allen drei Ebenen in Richtlinien übersetzen:

  • Strategische Richtlinien (Konzept-Ebene)
    „Jeder Service, den wir entwickeln, muss Verantwortlichkeiten und nächste Schritte sowohl für die Nutzer als auch für die Anbieter klar machen.“
  • Taktische Richtlinien (Workflow- und Muster-Ebene)
    „Workflows sollten immer Kontrollpunkte enthalten, an denen die Zuständigkeit sichtbar ist: Wer ist verantwortlich, was geschieht als Nächstes und wann?“
  • Operative Richtlinien (Interface-Ebene)
    „Bestätigungsnachrichten sollten immer einen namentlich genannten Kontakt oder eine Systemreferenznummer enthalten.“

Dieses Beispiel zeigt, dass das Schichtenmodell nicht nur für ein einzelnes Prinzip gilt. Ob es um Vertrauen, Verantwortlichkeit oder einen anderen Kernwert geht, helfen die drei Ebenen den Teams, Prinzipien in umsetzbare Leitlinien zu übersetzen, die Services und Produkte vom Konzept bis zur Oberfläche prägen.

 

5. Warum dieser Unterscheid wichtig ist

Ein klarer Unterschied zwischen strategischen, taktischen und operativen Richtlinien ist kein rein akademischer Akt. Sie ist vielmehr ein Weg, um sicherzustellen, dass Prinzipien tatsächlich im Arbeitsalltag einer Organisation verankert sind. Ohne diese Unterteilung laufen Richtlinien Gefahr, nur noch als Interface-Optimierung zu dienen – nützlich, aber vom Gesamtbild entkoppelt.

Dieser mehrschichtige Ansatz ist aus mehreren Gründen entscheidend:

  • Er hält Prinzipien lebendig. Indem Prinzipien auf verschiedenen Ebenen in Richtlinien übersetzt werden, verlieren Teams die ursprüngliche Intention nicht aus den Augen. Das Prinzip ist nicht nur eine Folie in einer Präsentation, sondern wird zum täglichen Bezugspunkt.
  • Er vereint Disziplinen. Strategen, Designer und Entwickler können alle nach dem gleichen Prinzip arbeiten, jeweils auf dem für sie relevanten Niveau. Eine strategische Richtlinie gibt die Roadmap vor, eine taktische prägt Workflows und eine operative sorgt für Konsistenz im Interface.
  • Er verhindert oberflächliche oder zufällige Designsysteme. Zu oft enden Designsysteme bei Farbpaletten und Abstandsregeln. Wenn Richtlinien bis auf die strategische Ebene erweitert werden, stellen Organisationen sicher, dass ihr Designsystem nicht nur zeigt, wie etwas aussieht, sondern auch, warum es existiert. Werden Designsysteme von jeglichen Richtlinien oder Prinzipien entkoppelt, entstehen zufällige und oft irrelevante Strukturen.
  • Er schafft Kontinuität von der Vision bis ins Detail. Statt einer Lücke zwischen großen Prinzipien und Entscheidungen auf Pixel-Ebene fungieren Richtlinien als verbindende Schritte zwischen beiden.

Kurz gesagt, diese Unterscheidung ist es, die Designprinzipien zu einer lebendigen Kraft innerhalb einer Organisation machen. Sie sorgt dafür, dass Prinzipien nicht im Hintergrund verschwinden, sondern aktiv Entscheidungen über Konzepte, Workflows und Interfaces leiten.

 

6. Fallstricke, die es zu vermeiden gilt

Natürlich garantiert allein die Definition von Richtlinien auf drei Ebenen noch keinen Erfolg. Es gibt einige Fallstricke, in die Organisationen geraten können, wenn sie versuchen, Prinzipien in die Praxis umzusetzen:

  • Das strategische Niveau überspringen. Viele Teams springen direkt zu Mustern und Interface-Regeln, weil diese greifbarer erscheinen. Doch ohne strategische Richtlinien entstehen genau die schwammigen und unpraktischen Assets, die eigentlich vermieden werden sollten, weil das Design sich von der Produkt- oder Servicevision entfernt und dadurch an Relevanz verliert.
  • Das operative Niveau überladen. Wenn Richtlinien auf Interface-Ebene zu detailliert oder zu starr sind, können sie Kreativität ersticken und Teams frustrieren. Richtlinien sollen gute Entscheidungen unterstützen, nicht verhindern.
  • Muster mit Strategie verwechseln. Ein häufiger Fehler ist es, taktische Richtlinien (wie Navigations- oder Workflow-Konventionen) als Prinzip selbst zu behandeln. Muster sind wichtig, machen aber nur Sinn, wenn sie an eine übergeordnete Absicht geknüpft sind.
  • Richtlinien nicht weiterentwickeln. Prinzipien sind vergleichsweise stabil, aber Richtlinien müssen sich anpassen, wenn sich Produkte, Technologien und Nutzererwartungen ändern. Eine Richtlinie, die vor fünf Jahren funktioniert hat, kann heute das Prinzip untergraben.
  • Für alle gilt das gleiche. Unterschiedliche Produkte, Kontexte oder Zielgruppen erfordern manchmal unterschiedliche Lösungen. Das heißt nicht, dass man das System aufbricht—sondern es bewusst weiterentwickelt. Richtlinien können angepasst oder ergänzt werden, solange sie mit der Ebene darüber im Einklang stehen. So bleiben Flexibilität und Konsistenz gewährleistet.

Um diese Fallstricke zu vermeiden, ist Disziplin erforderlich: Jede Richtlinie sollte immer auf das zugrunde liegende Prinzip zurückgeführt werden, geprüft werden, ob sie ihren Zweck noch erfüllt, und die Ebenen sollten unterschieden werden, ohne sie voneinander zu isolieren.

 

7. Vom Kompass zur Landkarte

Designprinzipien geben uns die Richtung vor, aber ohne Richtlinien bleiben sie oft abstrakte Konzepte. Durch die Übersetzung in strategische, taktische und operative Richtlinien schaffen Organisationen ein System, das die Vision mit der Umsetzung verbindet—und so Konzepte, Workflows und Interfaces gleichermaßen prägt.

Der Wert dieses mehrschichtigen Ansatzes liegt darin, dass er sowohl Konsistenz als auch Flexibilität ermöglicht. Teams können sich um ein gemeinsames Prinzip versammeln und dennoch Lösungen gezielt auf die Anforderungen eines bestimmten Produkts oder einer Dienstleistung abstimmen. Solange jede Richtlinie auf die nächsthöhere Ebene rückführbar ist, bleibt das System zusammenhängend, ohne starr zu werden.

Hier die Herausforderung: Werfen Sie einen frischen Blick auf Ihre eigenen Designprinzipien. Fragen Sie sich—haben sie bereits Eingang gefunden in die täglichen Entscheidungen Ihrer Teams, oder stehen sie noch immer in einer Präsentation? Falls Letzteres zutrifft, überlegen Sie, welche Richtlinien—strategisch, taktisch und operativ—notwendig sind, um die Brücke vom Kompass zur Landkarte zu schlagen.

 

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Julie Pontier

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